Freitag, 11. Juni 2010

11.Juni 1935

Liebe Mama
heute vor 75 Jahren bist Du in Gerdauen/Ostpreußen zur Welt gekommen. Seid 15 Jahren suche ich jedes Jahr nach einem Weg Dir zum Geburtstag zu gratulieren. Du hast Deine Geburtstage immer sehr gerne gefeiert. Zu Deinem heutigen 75. gibt es keine 75 rote Rosen auf Deinem Grab (weisst Du noch...Papa hat Dir vor 5 Jahren 70 riesige Rosen aufs Grab gestellt. An einem heissen Tag! Danach hielten ihn einige für recht sonderbar. Schön, und voller Liebe war es!)

Vor 10 Jahren haben Deine beiden ältesten Enkel 65 Gänseblümchen übers Grab verstreut. Und einen Luftballon haben sie auch noch fliegen lassen.

....oder weisst Du noch: diese kleine halbvolle Flasche Sekt versteckt in den Blümchen. Die andere Hälfte wurde am Abend mit Blick in den Sternenhimmel auf Dein Wohl getrunken! 61 bist Du da geworden.


Ja, und heute soll es die ganze Welt wissen!


Alles Liebe, Mama

zu Deinen heutigen 75.Geburtstag



...weisst Du, dass auch in der heutigen Zeit Deine Krankheit, die amyotrophische Lateralsklerose (ALS) nicht heilbar ist? Noch immer gibt es dieses jahrelange Leid. Für Euch, die diese Krankheit haben. Für uns, die nichts abnehmen, nichts leichter machen können.

....nicht helfen können war der größte Schmerz!


Kannst Du Dir vorstellen, dass ich erst jetzt, wo ich selber älter werde, verstehen kann warum Du Dein Leben lang immer so ein bißchen traurig warst? Mit 10 Jahren mitten im Krieg die Heimat zu verlieren, im eiskalten Winter über das Haff zu fliehen, irgendwann in Moers zu landen, dieses ganze Leid drumherum auszuhalten...ja, das muss traurig machen. Warum hst Du nie mit uns darüber gesprochen?

Weisst Du wie sehr ich nun nachfühlen kann, was es heisst Geschwister zu verlieren? Dein Sohn ist ja nun auch schon bald 5 Jahre bei Dir. Uns 4 anderen Kindern fehlt dieser Eine. Du bist 3 Mal am Grab Deiner Geschwister gestanden. Damals, bei Deiner älteren Schwester hast Du ihre 3 kleinen Kinder festgehalten. Ich war erst 4 Jahre, doch dieses Bild seh ich heute noch vor mir. Du warst auch erst 27. Die eigene Mama kurz zuvor verstorben...

Weisst Du, ich hoffe dass Dein kleinster Urenkel vor ein paar Wochen ganz schnell den Weg zu Dir gefunden hat.

...von Deinen 15 Enkeln und 6 Urenkeln hier hast Du ja einige schon nicht mehr kennengelernt. Ganz schön viele, gell? Dass es dieses Blog gibt, haben wir Deinen jüngsten Enkel, dem Robert zu verdanken. (psst,ganz leise...weisst Du, was mal aus ihm wird. Ob es ihm gutgehen wird. Pass bitte auf ihn besonders auf, ja?)

Ach, und keiner Deiner Nachkömmlinge hat Deinen Namen, ich weiss! Aber Ingeburg ist halt auch für mich immer noch ein bißchen komisch. Wir durften Deinen Namen nicht mal in unsere Kinderlieder mit hineindichten...Burgfräulein und so... Die Großen haben Dich ja eh alle Inge genannt.

Heute tröstet es mich, dass Du diesen Geburtstag auch den Papa bei Dir hast. Habt Ihr Euch gefunden? Er war lange krank, bevor er zu Dir ging. Er durfte 23 Jahre länger auf dieser Erde leben. Ich weiss, die letzten 14 Jahre ohne Dich waren seine Schwersten. Er war doch immer so stolz auf seine junge Frau...und dann gehst Du so früh, das hat er oft gesagt. Na, jetzt streng Dich an und mach es wieder gut.

Und damit nun der Tag hier auf der Erde nicht in Tränen und Traurigkeit hineinrutscht werden wir ihn feiern. Es gibt Deinen Lieblingskuchen...mit vielen Erdbeeren, aber mit echten Kaffee (nein, nicht Dein Blümchen...)

Ich werde Deinen Enkeln und Urenkel erzählen von Dir. Dein "neuer" Schwiegersohn kennt Dich schon vom vielen Erzählen (ja, wir haben unser gschlamperts Verhältnis mit 2 unehelichen Kindern doch legalisiert. Trotz ich heirate niiieee mehr. Und richtig ist es und gut)

Oh, Mama Deine älteste Schwester wird wohl 100 Jahre werden. Heute am Telefon....dieser Dialekt aus Ostpreußen...wie Du...das tut dann schon weh, macht Sehnsucht! Ihr habt nie rheinländisch und auch nie oberpfälzisch gesprochen...man hat immer gehört wo Du herkamst.

Die Sprache Deines Herzens, die lebt in uns allen weiter

Mama, ich würde Dich heute so gern "in echt" drücken. Ein Satz stimmt einfach nicht. Die Zeit heilt nicht alle Wunden. Manchmal ist es leichter, mehr nicht.

Ich vermisse Dich so sehr. Wie Du wohl heute aussehen würdest? Immer noch Jeans und T-shirt? Die Haare wie immer kurz mit Farbe drin?

Dann würde Robert sagen:"Oma, Du sollst Märchen lesen und da oben so einen runden Zopf haben, bitte."

Und die Oma/Mama würde zur Ältesten wie immer sagen:"Schneide Dir mal die Haar ordentlich, das ist doch keine Frisur. Wie stehst Du denn da, Du musst doch Vorbild sein! Was sprichst Du da für einen Dialekt.Wie sagt man?

Ich würde Dir so gerne so viele Wünsche erfüllen

Deine Elisabeth

18 Kommentare:

  1. Oh... wie traurig... Ich muß mir das heute Abend mal "richtig" zu Gemüte führen...bin jetzt in Eile...
    Ulkigerweise kenne ich auch jemanden, der heute 75 wird (allerdings ein männliches Wesen).
    Viele Grüße erstmal von Ann

    AntwortenLöschen
  2. Alles Liebe zum Geburtstag auch von mir.
    Welch wunderbare Mutter.
    Vielen Dank, Elisbeth, für das Mit-Teilen eines Lebens....
    Welch wunderbare Tochter.

    AntwortenLöschen
  3. Ach Elisabeth,
    ich könnt ja heulen, so schön hast du geschrieben. Deine Mama muss ja eine Tolle gewesen sein:O)
    Feiert heute schöne Geburtstag, ihr habt bestimmt Gäste "von oben", die dabei sein werden.
    Ich denk an dich!
    Michaela

    AntwortenLöschen
  4. Ach Elisabeth . . .
    Ich drücke dich ganz ღlich!!!
    Rosine

    AntwortenLöschen
  5. Es spricht so, so viel Lieb aus Deinem Text ..... wenn diese Wellen der Liebe ungebremst bei Deiner Mama angkommen, haut es sie um (mal ganz rustikal ausgedrückt)

    Wir feiern heute den 78. Geburtstag meiner Oma, die aus Pommern flüchten musste - ganz sicher werde ich heute auch an Dich und Deine Mama denken, wenn wir bei Kaffee (auch Blümchenkaffee) und Erdbeerboden sitzen.

    Viele liebe Gedanken gehen/fliegen/kommen gerade zu Dir, wenn Du ein bißchen stolpern solltest, nicht wundern ;-)

    Liebe Grüße und ein wundervolles Wochende
    C.

    AntwortenLöschen
  6. Ach, Süsse!

    Soviel Liebe und Gespür für diejenigen, die voraus gegangen sind!!!

    Deine Zeilen haben mich ganz an meiner Seele berührt. Diese Liebe in eurer Familie zu spüren, den Zusammenhalt, weit über den Tod hinaus.

    Deine Kinder sind in einem wunderbaren Nest so sicher behütet...da ist soviel Basis!!

    Ich umarm Dich ganz fest!
    Barbara

    AntwortenLöschen
  7. Liebe Elisabeth,
    du hast soo recht die Zeit heilt nicht alle Wunden, an manchen Tagen tut es nur weniger weh.
    Ich drücke dich !
    Allerliebste grüße Sandra

    AntwortenLöschen
  8. Liebe Elisabeth. Mir fehlen die Worte. Dein Post heute ist eine einzige Liebeserklärung an deine Mama. Wunderschön und auch trurig. LG Inge

    AntwortenLöschen
  9. Ich kann grad gar nix sagen liebe Elisabeth.
    Meine Oma (nun 80) ist auch ne Inge.
    Ich umarme dich, wie schön eine solche Liebeserklärung zu FÜHLEN!

    AntwortenLöschen
  10. Durch deine Liebe weine um jemanden, den ich nie kennengelernt habe.

    Ich wünsche euch ganz viele fröhliche Erinnerungen.

    Liebe Grüße

    AntwortenLöschen
  11. ....bevor ich jetzt zum Geburtstag meiner Oma fahre (im Übrigen denke ich heute ganz ganz oft an Dich und die Liebe die aus dem Text spricht) ist mir eingefallen, dass ich schreiben wollte das meine Oma auch Inge heißt
    ♥ C.

    AntwortenLöschen
  12. Liebe Elisabeth,

    sie wird es lesen, dort oben oder wo immer sie sonst ist, solche Menschen wie deine Mutter bekommen einen guten Platz in der Ewigkeit..
    und sie wird wissen, wie sehr du sie noch immer liebst und wie arg du sie vermisst...

    ganz lieb streichelt dich herzlich die Rachel

    AntwortenLöschen
  13. Du hast zu meinem Post über meine Mama so lieb geschrieben, nun kann ich das zurückgeben.
    Auch Deine Mama muß eine besondere Persönlichkeit gewesen sein, sonst hättest Du nicht so schreiben können. So konnten wir beide unseren Mamas ein kleines Denkmal setzen.
    Vielleiche kennen sie sich ja schon. Ganz liebe Grüße, die Christiane

    AntwortenLöschen
  14. Ihr schreibt alle so lieb und nett, aber ich brauche Hilfe für Menschen, die nicht an ein Weiterleben glauben.

    Am 14.06.1980 starb mein Vater im Alter von 92 Jahren. Meine Mutter wurde an diesem Tag 74 Jahre alt. Sie folgte meinem Vater nach 4 Jahren.

    Damit es nicht so negativ klingt:
    Sehr treffend:
    Die Zeit heilt nicht alle Wunden.
    Im Gegenteil:
    Manche Wunden werden stärker.

    Liebe Grüße von einer
    Elisabeth

    AntwortenLöschen
  15. Da bin ich nochmal... habe es mir jetzt mal ganz in Ruhe durchgelesen... sitze hier auch mit ein paar Tränchen in den Augen...
    Da starb Deine Mutter auch viel zu früh, nach jahrelangem Leiden wohl... Ja, diese Hilflosigkeit, nicht helfen zu können... ich kenne das leider...
    Meine Mutter war auch noch so jugendlich (wie Deine wohl auch) in Jeans und T-Shirt und die Jahre nicht mal richtig grau, auch im Kopf her so jung, jünger als manch andere... sie war so freiheitsliebend und dann war sie die letzten Wochen auch an ihr Bett im Hospiz "gefesselt"... ach, das ist alles immer so traurig, wenn man darüber nachdenkt. Und die Du sagst; die Wunden heilen nicht unbedingt.. Der Schmerz verändert sich, aber er wird nicht zwingend besser, mal ist es besser, mal schlimmer... je nachdem, unvorhersehbar... Du hast ja auch schon so einiges in Deinem Leben mitgemacht. Komischerweise sind das ja oftmals die freundlichsten Menschen und oftmals auch viel zufriedener als vom Leben verwöhnte Menschen.
    Du hast das sehr schön geschrieben.
    Ich selbst konnte in meinen Posts nur "über" meine Mutter schreiben, nicht an sie gerichtet, das konnte ich irgendwie nicht...
    Jedenfalls kann auch ich nach 2 Jahren nicht glauben, daß sie nicht mehr da ist, nicht mehr wiederkommt... und wie ich bei Dir sehe, hält das ja auch eben ewig an... Das finde ich manchmal belastend - mir kommt es vor, als ob man nun bis an den Rest seines Lebens mit diesem Thema Tod so stark und immer wieder konfrontiert wird... besser wird`s jedenfalls nimmer!!!
    Mein Vater lebt auch noch. Hatte inzwischen auch Krebs und div. anderes... 1 Jahr nach ihrem Tod hat er schon wieder geheiratet und nun zieht er wohl sogar noch nach Berlin... tja. Wer hätte vor 2 1/2 Jahren mal gedacht, daß sich unser Leben derart verändert...
    Ich fand es aber schön, Deinen Post gelesen zu haben... sei ganz lieb umarmt und viele Grüße von einer "Gleichgesinnten", Ann

    AntwortenLöschen
  16. Ein Geschenk, so von seiner Mutter schreiben zu dürfen und zu können.

    Wunderbar und mögen die Erinnerung daran nie verblassen....

    Herzlichst
    artista

    AntwortenLöschen
  17. Liebe Elisabeth,

    ich habe dein post jetzt erst gelesen, durch unser kleines fieberndes Kind kam ich in den letzten Tagen zu gar nichts.

    SO ein schöner Brief an deine Mama, ich bin immer noch ganz gerührt!!
    Ein schönes Geburtsdatum, der 11.06., von wundervollen Menschen!
    Liebe Grüße,
    Katharina

    AntwortenLöschen
  18. Das sitze ich nun hier und flenne wie ein Schloßhund. Letztes Jahr erst bei der Großmutter am Grab gestanden und sie fehlt immernoch so sehr. Manches Mal will ich sie anrufen, um was zu fragen und dann fällt es mir wieder ein ...

    AntwortenLöschen