Montag, 2. September 2013

Was hat Autismus mit diesem Koffer zu tun?


Oh! Sehr viel für uns ....


Der Samstag fing recht friedlich an. Susanne noch immer in der Abenteuerwoche für GEKIs. Robert sollte zur Kurzzeitpflege gebracht werden.
"Mama, ich pack selber ...."
"Du darfst Deinen kleinen Koffer packen, die Anziehsachen uns so ... das mache ich!"

Alles war schon hergerichtet, es ging ganz schnell .... Aber:
Dieser schwarze Koffer war nicht da. Den hatte Susanne mit !
Mamas denken sich nichts dabei, wir haben viele Taschen, Reisetaschen, sogar Koffer unterschiedlichster Grösse.

Der Robert trägt seinen kleinen blauen Koffer ins Auto, steigt ein wir wollen losfahren. Das Kind schaut nach hinten in den Kofferaum .... schreit sofort los ... springt aus dem Auto!

"Wo ist mein schwarzer Ziehkoffer, den ich immer dabeihabe??? !!!" (es war erst 1 Mal!)
"Robert komm, steig wieder ein, den schwarzen Koffer hat doch Susanne mit!"

Ich kann es nicht beschreiben was dann losging.

Ein Orkan?
Ein Drama pur?
Ein Wahnsinn?
Ein unglaubliche Geschichte?

Der Bub rennt schreiend zur Haustür, haut dagegen. "Mach wieder auf, ich kann nicht wegfahren ohne meinen Koffer .... ich will, will, will SOFORT meinen Koffer!"
Nach 10 Minuten toben vor der Haustür hatten wir Robert irgendwie wieder im Auto, im Gurt und fuhren los.
Er schrie wie noch nie .... krebsrot, total nassgeschwitzt .... er tobte in dem Gurt, strangulierte sich fast selber. Raus aus dem Dorf ein Stück Landstrasse rein in einen Feldweg. Türen auf ....
Robert steigt nicht aus.
Nein, er schrie nicht mehr ... er brüllte. So wie noch nie ....
Immerwieder holte er kurz Luft und weinte, schrie, tobte, brüllte dann wieder:
"Ich brauche MEINEN Koffer!!!!"
Ein Mähdrescher fuhr vorbei. Er hat ihn gar nicht mitbekommen. Es ging nicht in seine Nähe zu gehen, er hätte uns wahrscheinlich ernsthaft verletzt ....
Er blieb irgendwie im Auto, irgendwie im Gurt .... wurde von krebsrot zu blass, weinte leiser, dann wieder lauter, dann schrie er wieder ....

Der Vater wurde innerhalb kürzester Zeit zum Kettenraucher. Die noch nie rauchende Mutter war kurz davor sich auch eine anzuzünden!
Nach einer weiteren halben Stunde beschlossen wir weiterzufahren. Dort warten sie doch auf das Kind....
Er schreit so oder so, hört nicht zu  ... ist völlig weg ... irgendwo in der Kofferwelt.
 Mama fuhr, der Vater ist stärker, falls Kraft nötig werden sollte ....
In Ampfing wurden wir seltsam angeschaut, in Waldkraiburg auch .....
Zwischen Kraiburg am Inn und Trostberg sind ein paar kleine Dörfer die die Mutter zügig durchfuhr und dankbar um jeden Traktor war, der noch lauter Krach machte als das Koffer-Kind!
In Altenmark war leider eine Ampel rot ... die Menschen schauten sehr entsetzt .. die Mutter fuhr, der Vater war sprungbereit ....

Wir kamen irgendwann irgendwie am Ziel an.
Lebenshilfe -Einrichtung

Wir Eltern konnten nicht mehr um Hilfe rufen, waren fix und fertig ...hatten einen Gehörschaden. Wussten nicht wie wir das Kind da reinbringen sollten ... konnten.

Die Mutter fuhr auf den Parkplatz, Motor aus.
Stille !!!!
 Eine Sekunde dachte ich er ist ...... in Ohnmacht gefallen.

Dann geht hinten die Tür auf:
Ein Kind das nicht mehr als Robert zu erkennen war sagte:
"Dann nehm ich halt die blöde Tasche, aber ich trag jetzt alles selber rein, Ihr braucht mir nicht helfen, könnt gleich wieder fahren. Ihr habt mein ganzes Leben zerstört ... die Susanne auch. Und morgen kauf ich mir einen scharzen Ziehkoffer!"
Er zerrte alles zur Tür, ein ganz und gar tätowierter junger Mann öffnete und sagte:
"Ah, da ist er ja endlich. Unser Liebling, der Robert. Ist was los?"
"Frag das meine Eltern, aber lass sie nicht hier rein!"

Wir haben die "Übergabe" irgendwie gemacht, der Betreuer sagte wir müssen ihm nichts erklären so wie wir ausschauen .....
Aber nun können wir entspannt ins Wochenende blicken, denn Robert ist ja nun gut aufgehoben.

Wir gingen davon .... aufeinmal hüpft der Robert hinter uns her wir bekommen ein Bussi, einmal drücken und
"Habt eine gute Zeit und regt Euch nicht auf über die anderen Leute, Mama und Papa! Und ... holt mich mit meinen schwarzen Ziehkoffer wieder ab, aber erst in einer Woche!"

Wir sassen im Auto, machten sofort das Radio aus ... Bitte keine Geräusche .....
Dann fuhren wir ... vorbei am Chiemsee ... der Vater schlief erschöpft, die Mutter fuhr und fuhr, das tut ihr gut an solchen Tagen ....
Sie fuhr über die Grenze und fuhr ... immer weiter. Bis nach Niederösterreich ... einfach so um dort spazierzugehen, Ruhe zu haben ..... vielen Menschen von diesem Koffer-Wahnsinn zu erzählen. ....

Liebe Familie ... die beiden Tage waren so gut
Danke fürs Auffangen, fürs Trösten, fürs Lachen über diese schreckliche Geschichte.

Nun sind wir wieder zu Hause. Der KOFFER auch. Weil Susannes Auszeit-Tage sind vorbei ....
Susanne war sehr entsetzt, was das ausgelöst hat ... sie hat nämlich eigentlich einen eigenen Koffer.
Wir werden ihn nun vor den Mietzen verstecken, damit wir ihn in einer Woche mitnehmen können um das Koffer-Kind Robert wieder abzuholen. Was kommt dann .... ich mag es gar nicht wissen.....


Nachtrag vom Papa:

Alle die mit autistischen Menschen zu tun haben kennen solche Geschichten. Es scheint normal zu sein!
Das ist dann schon wieder so komisch, dass auch ich irgendwann wieder lachen konnte! Erst hinterher, geb ich zu.
Trotz dieses wahnsinnigen Erlebnisses glaub ich nicht dass Robert irgendeine Geisteskrankheit hat. Eher schalten manchmal irgendwelche Kontakt in seinem Kopf auf "aus". Er hat noch nie so getobt, so ausgesehen wie am Samstag. Und dann innerhalb einer Sekunde war er wie immer. Eigentlich erschreckend, weil man in dem Moment keinen Zugang findet.

Und .... Nein! Ich habe nicht meine Fahrerlaubnis verloren. Wer die Maus kennt, weiss, dass sie immer Auto fährt wenn die Nerven am Ende sind ... schon vor meiner Zeit. Warum ihr das gut tut, konnte ich noch nicht rausfinden, aber es funktioniert.
Ich hab einmal probiert mit Radfahren die Nerven von ihr zu beruhigen ... nie wieder sag ich Euch. Lassen wir sie Autofahren, das Ziel am Samstag war eh wunderbar!
Und nun arbeite ich weiter ... einer muss ja das Geld verdienen für solche Anwandlungen ...  :-))


18 Kommentare:

  1. unglaublich das alles. wie schafft ihr das nur. ich habe eine buch über ein autistisches kind gelesen, und dachte oft beim lesen, es muss eine erfindung sein. scheinbar alles echt.
    weiter gute nerven, wenn autofahren hilft, warum nicht?
    adriana

    AntwortenLöschen
  2. Oh Gott, es tut mir leid. Aber ich muss echt lachen. Erst so ein Horror und dann alles wie immer. Von einer auf die andere Sekunde. Ihr habt mein Mitleid, ganz ehrlich!

    AntwortenLöschen
  3. Liebe Elisabeth,

    man, man, man,... Hut ab vor euch allen, auch vor eurem Robert! Am liebsten würde man in solch einer Situation wohl auf "weiter spulen" drücken. (So hängen in bestimmten Situationen, das kennt ja auch jeder Nicht-Autist, wenn man richtig in sich hinein lauscht. Man hat sich etwas vorgestellt und plötzlich ist es anders. Wie der Einzelne dann damit umgeht, ist natürlich sehr verschieden. Das ist dann wohl der Unterschied zum Autismus.) Armer Robert, wenn er dann so total gefangen ist und sich nicht mehr lösen kann. Da kann man bestimmt nur noch schreien und toben. Aber es gab ja so gar eine Lösung. Das hätte ich nicht gedacht beim Lesen, dass es noch ein "Happy End" gibt.

    Ich drücke euch mal ganz dolle aus der Ferne.

    Liebe Grüße
    Nula

    AntwortenLöschen
  4. oh wie kommt mir das bekannt vor
    Drück Euch
    LG
    Beatrice

    AntwortenLöschen
  5. uiuiui, bin ganz atemlos jetzt.
    Gute Woche euch allen, und Robert auch!
    Gabriela

    AntwortenLöschen
  6. Oh, Oh... gute Erholung euch! :-)
    Aber das schnelle Umschalten kennen wir hier auch...
    Liebe Grüße
    Christine

    AntwortenLöschen
  7. Ich dachte ganz zuerst, wegen den Bildern, dass er wegen den Miezen (die daheimbleiben müssen) nicht in die Kurzzeitpflege gehen will …

    LG Anne

    AntwortenLöschen
  8. Puh.... Das hört sich heftig an!!
    Manchmal möcht man genau wissen, was da in seinem Kopf los ist.....
    Und Elisabeth, wieder einmal Denk ich mir am Schluss: schön, dass ihr euch zwei habt. Ihr schafft das!
    Michael: ich kann das auch: beim Autofahren ruhig werden, abschalten. Lass sie nur :)
    Lg tanja

    AntwortenLöschen
  9. Liebe Elisabeth,
    ich glaube, wer das nicht einmal mitgemacht hat.
    kann das nicht nachvollziehen. Gut, dass ihr euch
    aaufeinander verlassen könnt- Wenn dich das Fahren
    beruhigt, dann mach das.
    Einen schönen Abend wünscht
    Irmi

    AntwortenLöschen
  10. Liebe Elisabeth
    Ich musste am Schluss Tränen wegwischen vor Rührung über Robert... Er scheint sich total in den Emotionen verloren zu haben. Das seine Struktur zusammen brach, weil "sein" Koffer nicht mitkam, das kann ich irgendwie gut nachvollziehen... Und beim heftigen Schreien, da kommt mir meine Schwester in den Sinn, die mir einmal erzählte, dass je heftiger sie schrie als Kind, umso weniger schlimm es eigentlich war. Sie meinte, dass der echte Seelenschmerz einen still macht... Hat was, nicht? Und Thalia hat mir vor wenigen Tagen erklärt, dass sie manchmal extra das Weinen heraus drücke und laut werde (weil es ihr in dieser Rolle manchmal gefällt)... Ich kenne Robert ja nicht und habe keine Erfahrung mit Autismus, doch ganz ehrlich gesagt hätte es in den Grundzügen auch unsere Thalia sein können. Zuerst das grosse Weltdrama und "das Vertreiben aus dem Paradies" (ihr seid nicht mehr meine Eltern! Ich will ohne Euch leben!) und dann per Knopfdruck dann plötzlich wieder ganz liebevoll, aufgeräumt und fröhlich. Das Robert so schnell umschwenken konnte, zeigt ja, dass es kein wirklich tiefer Schmerz war, oder liege ich da falsch?

    Ich bewunderte Euch beim Lesen, dass ihr stoisch geblieben seid und ihn einfach dorthin gefahren habt. Ich glaube, genau das brauchte er: ihr habt ihn gelassen, doch dafür gesorgt, dass das Ziel nicht aus den Augen verloren ging. BRAVO! Da habt ihr euch echt eine Goldmedaille geholt! (Schulterklopf ;-))

    Liebe Grüsse
    Iren

    AntwortenLöschen
  11. Ich drücke euch wortlos...
    Mit dem Wunsch verbunden für ganz viel Kraft vom Himmel
    für euch und dass ihr selber auch Oasen findet, wo ihr
    auftanken könnt.
    LG Ursula

    AntwortenLöschen
  12. Autismus in seiner wohl anstrengensten Form.
    Ich kenne solche Aussetzter von meinen Kindern auch, allerdings sind sie nicht ganz so heftig halten zum Glück nicht so lange an wie bei Robert.
    Schön, dass Ihr eine Familie habt, die Euch auffängt.

    AntwortenLöschen
  13. Huch, wo ist mein Kommentar von gestern Abend?

    Ich war beim Lesen voll "dabei" - so anstrengend und ich musste nach Luft schnappen.

    Nun wünsch ich euch erholame Tage (ob es so einfach wird?)

    Liebe Elisabeth, hast du meine Telefonnummer noch? Du kannst mich gern mal anrufen.

    Gruß elsie

    AntwortenLöschen
  14. Puh, das liest sich extrem anstrengend und nervenaufreibend. Ich kann es (in deutlich geringerem Maße) nachfühlen, denn die Tendenzen zu solchen Ausrastern hat mein Lieblingskind auch gelegentlich - da können es die unscheinbarsten Dinge sein, die plötzlich ein gigantisches Drama auslösen, mit schreiendem, tobenden Kind und verzweifelter Mutter (bzw. Eltern). Es geht sehr an die Substanz und ich kann gut verstehen, dass ihr etwas zum Abreagieren gesucht habt. Schön, dass das Wochenende euch Kraft gegeben hat.

    AntwortenLöschen
  15. hach, was für eine fahrt. ich kenn das nur vom babywirbelwind, schreibaby. und wie toll es dann war, ganz allein im auto kilometerweit einkaufen zu fahren, obwohl der nächste supermarkt ums eck ist...
    da ward ihr also in meiner nähe ;) wie schön, dann so aufgefangen zu werden. und wie gut ich weiß, wie gut die vielen kilometer alles wegfahren, um wieder einen klaren kopf zu bekommen ;)
    solltet ihr wieder einmal da sein, länger, dann meld dich, ja?
    alles liebe und ein undramatisches abholen!
    dania

    AntwortenLöschen
  16. Ach ihr lieben, ihr seid einfach toll!!
    Selbst beim Lesen wollte ich, die seit jahren nicht mehr rauchende, mir eine Zigarette anstecken!
    Aber ihr habt es, wie schon so vieles vorher, geschafft!
    Ganz besonders gefallen hat mir, das Robert euch dann am Ende trotz allem noch mit Küsschen verabschieden konnte!
    Ich hoffe ihr konntet viel Kraft tanken, denn solche Situationen werden sich nicht immer vermeiden lassen!
    Aber ihr macht das schon!
    Ich schaffe es ganz oft nicht zu schreiben, aber ich lese immer bei euch und bin oft in Gedanken beu Euch!
    Ganz liebe Grüsse
    Conny

    AntwortenLöschen
  17. Uff, das ist ja unglaublich. So etwas ist als Eltern bestimmt nur ganz schwer auszuhalten. Ich kenne mich in dem Thema absolut nicht aus. Für mich kommt es manchmal so rüber als ob autistische Kinder diese Kleinkindphase nicht ganz überwinden. Alles muss in geordneten Bahnen verlaufen. Wenn mal was anders läuft, dann ist das eine Katastrophe.
    Ich wünsche euch als Familie viel Kraft und Liebe und Wärme.
    Liebe Grüße,
    Kathrin

    AntwortenLöschen